„Das Führwahrhalten ist eine Begebenheit in unserem Verstande, die auf objektiven Gründen beruhen mag, aber auch subjektive Ursachen im Gemüte dessen, der da urteilt, erfordert. Wenn es für jedermann gültig ist, so fern er nur Vernunft hat, so ist der Grund desselben objektiv hinreichend und das Fürwahrhalten heißt alsdenn Überzeugung. Hat es nur in der besonderen Beschaffenheit des Subjekts seinen Grund, so wird es Überredung genannt.
Überredung ist ein bloßer Schein, weil der Grund des Urteils, welcher lediglich im Subjekte liegt, für objektiv gehalten wird. Daher hat ein solches Urteil auch nur Privatgültigkeit, und das Fürwahrhalten läßt sich nicht mitteilen.
Wahrheit aber beruht auf der Übereinstimmung mit dem Objekte, in Ansehung dessen folglich die Urteile eines jeden Verstandes einstimmig sein müssen (consentientia uni tercio, consentiunt inter se). Der Probierstein des Führwahrhaltens, ob es Überzeugung oder bloße Überredung sei, ist also, äußerlich, die Möglichkeit, dasselbe mitzuteilen und das Fürwahrhalten für jedes Menschen Vernunft gültig zu befinden; denn alsdenn ist wengistens eine Vermutung, der Grund der Einstimmung aller Urteile, ungeachtet der Verschiedenheit der Subjekte unter einander, werde auf dem gemeinschaftlichen Grunde, nämlich dem Objekte, beruhen, mit welchem sie daher alle zusammenstimmen und dadurch die Wahreit des Urteils beweisen werden.
Überredung demnach kann von der Überzeugung subjektiv zwar nicht unterschieden werden, wenn das Subjekt das Führwahrhalten, bloß als Erscheinung seines eigenen Gemüts, vor Augen hat; der Versuch aber, den man mit Gründen desselben, die für uns gültig sind, an anderer Verstand macht, ob sie auf fremde Vernunft eben dieselbe Wirkung tun, als auf die unsrige, ist doch ein, obzwar nur subjektives, Mittel, zwar nicht Überzeugung zu bewirken, aber doch die bloße Privatgültigkeit des Urteils, d.i. etwas in ihm, was bloße Überredung ist, zu entdecken.
Kann man überdem die subjektiven Ursachen des Urteils, welche wir für objektive Gründe desselben nehmen, entwickeln, und mithin das trügliche Fürwahrhalten als eine Gegebenheit in unserem Gemüte erklären, ohne dazu die Beschaffenheit des Objekts nötig zu haben, so entblößen wir den Schein und werden dadurch nicht mehr hintergangen, obgleich immer noch in gewissem Grade versucht, wenn die subjektive Ursache des Scheins unserer Natur anhängt.
Ich kann nichts behaupten, d.i. als ein für jedermann notwendig gültiges Urteil aussprechen, als was Überzeugung wirkt. Überredung kann ich für mich behalten, wenn ich mich dabei wohl befinde, kann sie aber und soll sie außer mir nicht geltend machen wollen.
Das Fürwahrhalten, oder die subjektive Gültigkeit des Urteils, in Beziehung auf die Überzeugung (welche zugleich objektiv gilt), hat folgende drei Stufen: Meinen, Glauben und Wissen. Meinen ist ein mit Bewußtsein sowohl subjektiv, als objektiv unzureichendes Fürwahrhalten. Ist das letztere nur subjektiv zureichend und wird zugleich für objektiv unzureichend gehalten, so heißt es Glauben. Endlich heißt das sowohl subjektiv als objektiv zureichende Fürwahrhalten das Wissen. Die subjektive Zulänglichkeit heißt Überzeugung (für mich selbst), die objektive Gewißheit (für jedermann).“ (Ende des Zitats)
Zitat aus Band IV, Gesammelte Werke, Immanuel Kant: “Kritik der reinen Vernunft” (DES KANONS DER REINEN VERNUNFT DRITTER ABSCHNITT; VOM MEINEN, WISSEN UND GLAUBEN, Seite 687, 688, 689), suhrkamp Taschenbuchausgabe, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, 1. Auflage 1974, ISBN 3-538-27653-7
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Kant quotation 9 – Opinion, Knowledge, and Belief (J. M. D. Meiklejohn translation)
“ The holding of a thing to be true, is a phenomenon in our understanding which may rest on objectiv grounds, but requires, also, subjective causes in the mind of the person judging. If a judgement is valid for every rational being, then its ground is objectively sufficient, and it is termed conviction. If, on the other hand, it has its ground in the particular character of the subject, it is termed a persuasion.
Persuasion is a mere illusion, the ground of the judgement, which lies solely in the subject, being regarded as objective. Hence a judgement of this kind has only private validity – is only valid for the individual who judges, and the holding of a thing to be true in this way cannot be communicated. But truth depends upon agreement with the object, and consequently the judgements of all understandings, if true, must be in agreement with each other (consentientia uni tertio consentiunt inter se).
Conviction may, therfore, be distinguished, from an external point of view, from persuasion, by the possibility of communicating it, and by showing its validity for the reason of every man; for in this case the presumption, at least, arises, that agreement of all judgements with each other, in spite of the different characters of individuals, rests upon the common ground of the agreement of each with the object, and thus the correctness of the judgement is established.
Persuasion, accordingly, cannot be subjectively distinguished from conviction, that is, so long as the subject views its judgement simply as a phenomenon of its own mind. But if we inquire whether the grounds of our judgement, which are valid for us, produce the same effect on the reason of others as on our own, we have then the same means, though only subjectiv means, not, indeed, of producing conviction, but of detecting the merely private validity of the judgement; in other words, of discovering that there is in it the element of mere persuasion.
If we can, in addition to this, develop the subjective causes of the judgement, which we have taken for its objective grounds, and thus explain the deceptive judgement as a phenomenon in our mind, apart altogehter from the objective character of the object, we can then expose the illusion and need be no longer decieved by it, although, if its subjective cause lies in our nature, we cannnot hope altogehter to escape its influence.
I can only maintain, that is, affirm as necessarily valid for everyone, that which produces convition. Persuasion I may keep for myselv, if it is agreeable to me; but I cannot, and ought not, to attempt to impose it as binding upon others.
Holding for true, or the subjective valitdity of a judgment in relation to convition ( which is, at the same time, objectively valid ), has the three following degrees: Opinion, Belief, and Knowledge. Opnion is a consciously insufficient judgement, subjectively as well as objectively. Belief is subjectively sufficient, but is recognized as being objectively insufficient. Subjective sufficiency is termed conviction ( for myself ); objectiv sufficiency is termed certainty ( for all ). I need not dwell longer on the explantion of such simple conceptions.“ (end of quotation)
Immanuel Kant, Critique of Pure Reason, Dover Philosophical Classics, 2003 unabridged republication (translated by J. M. D. Meiklejohn in 1900 by the Colonial Press, London and New York), page 460-461.Vom Meinen, Wissen und Glauben
„Das Führwahrhalten ist eine Begebenheit in unserem Verstande, die auf objektiven Gründen beruhen mag, aber auch subjektive Ursachen im Gemüte dessen, der da urteilt, erfordert. Wenn es für jedermann gültig ist, so fern er nur Vernunft hat, so ist der Grund desselben objektiv hinreichend und das Fürwahrhalten heißt alsdenn Überzeugung. Hat es nur in der besonderen Beschaffenheit des Subjekts seinen Grund, so wird es Überredung genannt.
Überredung ist ein bloßer Schein, weil der Grund des Urteils, welcher lediglich im Subjekte liegt, für objektiv gehalten wird. Daher hat ein solches Urteil auch nur Privatgültigkeit, und das Fürwahrhalten läßt sich nicht mitteilen.
Wahrheit aber beruht auf der Übereinstimmung mit dem Objekte, in Ansehung dessen folglich die Urteile eines jeden Verstandes einstimmig sein müssen (consentientia uni tercio, consentiunt inter se). Der Probierstein des Führwahrhaltens, ob es Überzeugung oder bloße Überredung sei, ist also, äußerlich, die Möglichkeit, dasselbe mitzuteilen und das Fürwahrhalten für jedes Menschen Vernunft gültig zu befinden; denn alsdenn ist wengistens eine Vermutung, der Grund der Einstimmung aller Urteile, ungeachtet der Verschiedenheit der Subjekte unter einander, werde auf dem gemeinschaftlichen Grunde, nämlich dem Objekte, beruhen, mit welchem sie daher alle zusammenstimmen und dadurch die Wahreit des Urteils beweisen werden.
Überredung demnach kann von der Überzeugung subjektiv zwar nicht unterschieden werden, wenn das Subjekt das Führwahrhalten, bloß als Erscheinung seines eigenen Gemüts, vor Augen hat; der Versuch aber, den man mit Gründen desselben, die für uns gültig sind, an anderer Verstand macht, ob sie auf fremde Vernunft eben dieselbe Wirkung tun, als auf die unsrige, ist doch ein, obzwar nur subjektives, Mittel, zwar nicht Überzeugung zu bewirken, aber doch die bloße Privatgültigkeit des Urteils, d.i. etwas in ihm, was bloße Überredung ist, zu entdecken.
Kann man überdem die subjektiven Ursachen des Urteils, welche wir für objektive Gründe desselben nehmen, entwickeln, und mithin das trügliche Fürwahrhalten als eine Gegebenheit in unserem Gemüte erklären, ohne dazu die Beschaffenheit des Objekts nötig zu haben, so entblößen wir den Schein und werden dadurch nicht mehr hintergangen, obgleich immer noch in gewissem Grade versucht, wenn die subjektive Ursache des Scheins unserer Natur anhängt.
Ich kann nichts behaupten, d.i. als ein für jedermann notwendig gültiges Urteil aussprechen, als was Überzeugung wirkt. Überredung kann ich für mich behalten, wenn ich mich dabei wohl befinde, kann sie aber und soll sie außer mir nicht geltend machen wollen.
Das Fürwahrhalten, oder die subjektive Gültigkeit des Urteils, in Beziehung auf die Überzeugung (welche zugleich objektiv gilt), hat folgende drei Stufen: Meinen, Glauben und Wissen. Meinen ist ein mit Bewußtsein sowohl subjektiv, als objektiv unzureichendes Fürwahrhalten. Ist das letztere nur subjektiv zureichend und wird zugleich für objektiv unzureichend gehalten, so heißt es Glauben. Endlich heißt das sowohl subjektiv als objektiv zureichende Fürwahrhalten das Wissen. Die subjektive Zulänglichkeit heißt Überzeugung (für mich selbst), die objektive Gewißheit (für jedermann).“ (Ende des Zitats)
Zitat aus Band IV, Gesammelte Werke, Immanuel Kant: “Kritik der reinen Vernunft” (DES KANONS DER REINEN VERNUNFT DRITTER ABSCHNITT; VOM MEINEN, WISSEN UND GLAUBEN, Seite 687, 688, 689), suhrkamp Taschenbuchausgabe, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, 1. Auflage 1974, ISBN 3-538-27653-7
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Kant quotation 9 – Opinion, Knowledge, and Belief (J. M. D. Meiklejohn tanslation)
“ The holding of a thing to be true, is a phenomenon in our understanding which may rest on objectiv grounds, but requires, also, subjective causes in the mind of the person judging. If a judgement is valid for every rational being, then its ground is objectively sufficient, and it is termed conviction. If, on the other hand, it has its ground in the particular character of the subject, it is termed a persuasion.
Persuasion is a mere illusion, the ground of the judgement, which lies solely in the subject, being regarded as objective. Hence a judgement of this kind has only private validity – is only valid for the individual who judges, and the holding of a thing to be true in this way cannot be communicated. But truth depends upon agreement with the object, and consequently the judgements of all understandings, if true, must be in agreement with each other (consentientia uni tertio consentiunt inter se).
Conviction may, therfore, be distinguished, from an external point of view, from persuasion, by the possibility of communicating it, and by showing its validity for the reason of every man; for in this case the presumption, at least, arises, that agreement of all judgements with each other, in spite of the different characters of individuals, rests upon the common ground of the agreement of each with the object, and thus the correctness of the judgement is established.
Persuasion, accordingly, cannot be subjectively distinguished from conviction, that is, so long as the subject views its judgement simply as a phenomenon of its own mind. But if we inquire whether the grounds of our judgement, which are valid for us, produce the same effect on the reason of others as on our own, we have then the same means, though only subjectiv means, not, indeed, of producing conviction, but of detecting the merely private validity of the judgement; in other words, of discovering that there is in it the element of mere persuasion.
If we can, in addition to this, develop the subjective causes of the judgement, which we have taken for its objective grounds, and thus explain the deceptive judgement as a phenomenon in our mind, apart altogehter from the objective character of the object, we can then expose the illusion and need be no longer decieved by it, although, if its subjective cause lies in our nature, we cannnot hope altogehter to escape its influence.
I can only maintain, that is, affirm as necessarily valid for everyone, that which produces convition. Persuasion I may keep for myselv, if it is agreeable to me; but I cannot, and ought not, to attempt to impose it as binding upon others.
Holding for true, or the subjective valitdity of a judgment in relation to convition ( which is, at the same time, objectively valid ), has the three following degrees: Opinion, Belief, and Knowledge. Opnion is a consciously insufficient judgement, subjectively as well as objectively. Belief is subjectively sufficient, but is recognized as being objectively insufficient. Subjective sufficiency is termed conviction ( for myself ); objectiv sufficiency is termed certainty ( for all ). I need not dwell longer on the explantion of such simple conceptions.“ (end of quotation)
Immanuel Kant, Critique of Pure Reason, Dover Philosophical Classics, 2003 unabridged republication (translated by J. M. D. Meiklejohn in 1900 by the Colonial Press, London and New York), page 460-461.