Konsequenzen – für die Psychiatrie – als Folge der Erkenntnisbasis, 2. Teil

In den Beiträgen Konsequenzen werden in Bezug auf die Philosophie von Immanuel Kant verschiedene Aspekte diskutiert, wie sie sich aus der Erkenntnisbasis einer Diagnose ergeben.

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Wie in den medizinischen Fachbereichen, gibt es auch in der Psychiatrie typische und weniger typische Krankheitszustände (Störungen) bzw. klinische Erscheinungsbilder.

Im Gegensatz zu den objektiv bestimmbaren Diagnosen in der Medizin, kann – wie bereits im Beitrag psychiatrische Diagnose aufgezeigt worden ist – eine solche Diagnose und auch eine Feststellung in der Psychotherapie nicht objektiv bestimmt werden. Es handelt sich dabei nämlich um eine Erkenntnis die in Bezug auf eine psychologische Idee, die eine bloße Idee ist festgestellt wird. (vgl. mit Kant Zitat 8)

Im ersten Moment mag es als Problem erscheinen, wenn in einem konkreten Fall keine objektiv bestimmbare Zuordnung zu einer diagnostischen Einheit (Kategorie) möglich ist, respektive mehrere Sichtweisen unter Umständen möglich sind.

Bei genauerer Betrachtung und Überlegung erweist sich dies aber als der Sache angemessen, insofern durch dieses „ungewisse“ Wissen, sich ein Spektrum von verschiedenemWissen“ – bzw. die Sache „verschieden-Sehen-können“ eröffnet.

Es kann also sein, dass ein Sachverhalt unter verschiedenen Aspekten bzw. unter verschiedenen Gesichtspunkten (geistig) gesehen wird und kann man einen Sachverhalt oftmals auch verschieden erklären. Tatsächlich soll man einen Sachverhalt nach allen „möglichen Prinzipien der Einheit“ betrachten und untersuchen (vgl. mit Kant Zitat 2).

Es kann also sein, dass gleichzeitig mehrere Aspekte von Bedeutung sind. Tatsächlich handelt es sich nämlich in der Psychiatrie (Psychologie, Psychotherapie) um  Sichtweisen, die den Zusammenhang von psychischen Phänomenen (gr. phenomenon – das was erscheint, das Erscheinende) in verschiedenem Zusammenhang erklären, und kann es daher sein, dass man in Bezug auf einen Sachverhalt nicht nur einen Zusammenhang als wesentlich erkennt, sondern unter Umständen gleichzeitig mehrere als wesentlich erkennt.

Durch die Gewichtung der Ideen gegeneinander ist es möglich, (subjektiv) den wesentlichsten Aspekt, das  wesentlichste „Prinzip der Einheit“ (vgl. Kant Zitat 2) zu erkennen.

Grundsätzlich sollte man also einen Sachverhalt „nach allen möglichen Prinzipien der Einheit“ untersuchen, um schließlich den wesentlichsten Aspekt zu erfassen. Der wesentlichste Aspekt – das wesentlichste Prinzip der Einheit – wird sodann das Namengebende sein. Nach diesem wird man also die Störung bezeichnen, bzw. den Sachverhalt diagnostisch kategorisieren. Daneben sollte man jedoch auch andere, relevante Aspekte gemäß ihrer Wesentlichkeit berücksichtigen. Daher macht es in der Psychiatrie Sinn eine mehrdimensionale (multikaxiale) Diagnostik durchzuführen, wie dies in der DSM Klassifikation der Fall ist.

Dabei sollte man sich aber der Tatsache bewusst sein, dass jede diagnostische Erkenntnis in der Psychiatrie (Psychologie, Psychotherapie) nur eine nur relative und keine absolute Erkenntnis ist. Eine psychiatrische Erkenntnis ist nämlich eine relative Erkenntnis in Bezug auf die angewandte Idee.

Die mehrdimensionale Sichtweise, das Beleuchten eines Sachverhalts unter den verschiedenen Aspekten, geht verloren, wo das geistige Sehen eines Sachverhalts „künstlich“ auf nur eine einzige geistige Sichtweise reduziert wird. Eine derart eingeschränkte, reduzierte Sichtweise wird dem Sachverhalt jedoch nicht gerecht bzw. ist sie nicht angemessen (vgl. Kant Zitat 2).

Daher ist der „konstitutive“ Gebrauch einer Idee grundsätzlich falsch. (vgl. mit Kant Zitat 3a)

Es ist also problematisch, wenn ein psychiatrischer Sachverhalt nur unter einem Aspekt, nur unter einem Prinzip (einer Diagnose bzw. einer Theorie) betrachtet wird, und wenn in weiterer Folge, die dadurch gewonnene Erkenntnis als absolute Erkenntnis angesehen wird bzw. die Idee konstitutiv gebraucht wird – wie dies Immanuel Kant formuliert.

Es ist also in der Psychiatrie ein großes Problem wenn klinische Bilder in diagnostischer Hinsicht verabsolutiert und nur noch unter einer Kategorie gesehen werden, bzw. wenn ein Sachverhalt nur unter einer Theorie bzw. einer Sichtweise betrachtet wird (vgl. mit Kant Zitat 4) – insbesondere wenn der Sachverhalt nur wenig typisch ist.

So kann es zum Beispiel problematisch sein wenn ein klinisches Erscheinungsbild in Bezug auf eine diagnostische Kategorie verabsolutiert festgestellt wird und der Sachverhalt nur noch unter diesem Aspekt betrachtet wird.

Auch kann es z.B. problematisch sein, wenn ein klinisches Bild nur unter der „biologischen“ Sichtweise, oder nur unter einer „psychologischen“ (psychologisierenden) Sichtweise betrachtet wird. Vielmehr sollte man in der Psychiatrie (Psychologie, Psychotherapie) die Zusammenhänge „nach allen möglichen Prinzipien der Einheit“ beleuchten, untersuchen und studieren, um den Zweck bzw. das Ziel, die bestmögliche Behandlung zu erlangen. (vgl. Kant Zitat 2)

Wird dies nicht gemacht, und wird nur „biologisch“ oder nur „psychologisch“ die Sache angegangen, so wird das Bestmögliche, der angestrebte  Zweck verfehlt. Mit anderen Worten, es werden damit wesentliche Behandlungsmöglichkeiten verpasst, oder aber es geht die Behandlung einseitig in nur eine Richtung.

So ist es auch in der Psychotherapie ein großes Problem, wenn eine psychische Störung nur durch die „Brille“ einer Theorie, also nur unter Anwendung einer Sichtweise, der Sichtweise einer  „Schule“ beleuchtet wird, und sodann Zusammenhänge nur unter diesem Aspekt (dieser Theorie) gesehen und in der Behandlung berücksichtigt werden.

Daher hat die „übermäßige“ Bemühung, jede psychische Störung möglichst nur einer Kategorie der ICD oder DSM Klassifikation zu zuordnen, um sodann nur noch unter diesem Aspekt den Fall zu studieren, zu einer künstlichen Beschränkung und Verarmung der Sichtweisen geführt, womit auch die Flexibilität und Kreativität der therapeutisch tätigen Fachleute unabsichtlich eingeschränkt worden ist.

Es ist einerseits in der Psychiatrie (Psychologie, Psychotherapie) zwar notwendig, dass man sich dogmatisch definierter psychiatrischer Konzepte und Kategorien bzw. ausformulierter Modelle und Therorien bedient – um überhaupt psychische Störungen unter diesen systematischen Einheiten (vgl. mit Kant Zitat 8) aufassen zu können, bzw. um Zusammenhänge unter gewissen Theorien verstehen zu können – und um in weiterer Folge dadurch Handlungsanleitungen zu gewinnen.

Man soll diese Ideen (Einheiten / Theorien / Modelle) jedoch angemessen relativieren. Das heißt, man soll so – wie dies Karl Jaspers gefordert hat – die Erkenntnisse „in der Schwebe“ halten und sie angemessen relativieren. (vgl. mit Japser Zitat 2)

Bereits Wilhelm Griesinger hat erkannt, dass man psychische Krankheitszustände zwar einer der wenigen nosologischen Einheiten zuordnen muss, gleichzeitig  soll man aber die Übergänge der einzelnen Formen in einander sehr wohl beachten. (vgl. mit dem Griesinger Zitat, letzter Absatz, wo deutlich wird, dass auch Wilhelm Griesinger sich der Relativität der psychiatrischen Erkenntnisse bewusst war.)

Kurz gesagt:

Man sollte sich also der Relativität der psychiatrischen Erkenntnisse bewusst sein, um sodann aus diesen beschränkten Erkenntnissen die best möglichen, angemessenen Handlungen abzuleiten. (vgl. Kant Zitat 2)

Immanuel Kant spricht bei nicht angemessener, verabsolutierender Verwendung einer Idee vom konstitutiven Gebrauch einer Idee und hat er die Konsequenzen aufgezeigt, die bei falschem Gebrauch einer Idee folgen. (vgl. mit Kant Zitat 3a)

Das heißt ein derart geistig reduktionistisches Sehen ist der Sache weder angemessen noch dienlich, sondern ist es vielmehr die Bestimmung des obersten Erkenntnisvermögens“ … „der Natur nach allen möglichen Prinzipien der Einheit nachzugehen …. niemals aber die Grenze zu überfliegen“. (vgl. Kant Zitat 2)

Mit anderen Worten: Um zu einer psychiatrischen Diagnose innerhalb einer  Nosologie zu gelangen, bedarf es zwar einerseits der Beschränkung um zu der treffendsten Kategorie zu gelangen – wie dies Wilhelm Griesinger erkannt und formuliert hat (vergl. mit dem Griesinger Zitat). Im Weiteren sollte man jedoch, die so gewonnene Erkenntnis, wiederum angemessen relativieren, – wie dies einer Idee allgemein (vgl. mit Kant Zitat 3a) – und im Besonderen, einer psychologischen Idee und psychiatrischen Idee angemessen ist. (vgl. mit Kant Zitat 4)

Gerade dieses Relativieren und ins Spiel bringen von verschiedenen Ideen (aller möglichen Prinzipien der Einheit) muss aber auch praktisch vollzogen werden. Dieses flexible Handhaben der psychiatrischen Ideen ist bis dato in der psychiatrischen Praxis nicht generell üblich – und vor allem wird dieses flexible geistige Sehen der Zusammenhänge unter den verschiedensten Gesichtspunkten – wie dies Karl Jaspers gelehrt hat (vgl. mit Jaspers Zitat 11) gegenwärtig weder gelehrt noch praktiziert.

Dieses Missverstehen der psychiatrischen Erkenntnisse gereicht den Patienten und der Psychiatrie selbst in mehrfacher Hinsicht zum Nachteil.

Eine Zusammenfassung  zu dieser Thematik finden Sie auf diesem Poster der am DGPPN Kongress 2009 in Berlin vorgestellt worden ist.

Umgekehrt führt der konstitutive Gebrauch der Ideen – man kann auch sagen, der nicht relativierte dogmatische, oder der vor-aufgeklärte Gebrauch der Ideen – zu verabsolutierenden Sichtweisen, die dem Sachverhalt in keiner Weise angemessen sind. Daher stößt ein solch verabsolutierendes Denken und Handeln in unserer aufgeklärten Zeit beim kritischen Publikum auf Ablehnung.

Es sollten also die Ideen generell, und damit auch die  psychologischen Ideen  bzw. die psychiatrischen Ideen angemessen relativiert – oder wie es Kant formuliert „regulativrelativistisch verwendet werden, wie es ihrer „Natur“ entspricht. (vgl. mit Kant Zitat 4)

Demgemäß sollte der regulative Gebrauch der Ideen bzw. die relativistische Verwendung der psychischen (psychiatrischen und psychotherapeutischen) Ideen praktiziert und im Rahmen der Ausbildung mit der jungen Kollegenschaft geübt werden – um alle relevanten Aspekte eines Sachverhalts zu erfassen bzw. um der „Natur ….  bis in ihr Innerstes nachzugehen„.  (vgl. mit Kant Zitat 2)

Wenn alle möglichen Aspekte bedacht und berücksichtigt werden, dann kann die beste Vorgehensweise bzw. der größte Nutzen erlangt werden. (vgl. mit Kant Zitat 2)

Die überbewertete Berücksichtigung eines einzelnen Aspekts, bzw. die nicht-relativiert-dogmatische Sichtweise hingegen verfehlt das Mögliche.

In diesem Sinn ist eine unverhältnismäßige „Biologisierung“ der Psychiatrie der Sache genauso wenig angemessen und genauso wenig dienlich, wie eine unverhältnismäßige „Psychologisierung“.

Es kann sein, dass in einem Fall, zu einer gewissen Zeit der biologische Aspekte von größerer Bedeutung ist, als ein psychologischer und umgekehrt. Dies kann jedoch nicht im Vorhinein – allein auf Grund einer diagnostischen Feststellung schon gewusst werden – sondern ist dies eben die Aufgabe des Arztes auf der Grundlage seiner klinischen Erfahrung und durch die gegenseitige Gewichtung seiner Ideen (Vorstellungen), herauszufinden, was in der gegenständlichen Sache von größter Relevanz ist. Erst durch derart kritische Überlegung, Abwägung und der daraus resultierender Erkenntnis, folgt die best mögliche Handlung.

In diesem Sinne sollte man als Psychiater/Psychiaterin flexibel und kreativ sein, um die jeweils relevanten Aspekte zu erkennen, und, um sodann in weiterer Folge den bestmöglich möglichen therapeutischen Weg zu finden.

Es wird damit deutlich, inwiefern eine allgemein gültige Ansage und Hilfestellung – wie sie von der psychiatrischen Wissenschaft in der Form der psychiatrischen Leitlinien geliefert wird – beschränkt ist, und sollte daher die flexible Art und Weise zu denken und zu handeln in der Psychiatrie gelehrt, und im Rahmen der Ausbildung geübt werden. (vgl. mit Kant Zitat 11)

Es geht also um das Erfassen der wesentlichen Aspekte, die durch das „Gewichten“ der wesentlichen Vorstellungen (Ideen) gegen einander erlangt werden – so wie ein Richter bei Gericht durch Abwägung der Beweismittel diese gegeneinander geistig „ponderiert“ und zu seinem Urteil gelangt.

Genau auf solche  Art und Weise sollte ein ArztIn (TherapeutIn) im Rahmen der Abklärung  eines Sachverhalts die momentan wesentlichsten Aspekte erkennen, um sodann gemäß dieser, seiner (subjektiven) Erkenntnis, unter Verwertung der allgemeinen Erfahrungen, der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Therapie optimal zu gestalten, um schließlich damit den  Zweck zu erlangen. (vgl. mit Kant Zitat 2)

Damit konnte definiert werden was unter ärztlicher Kunst allgemein – und in der Psychiatrie (Psychotherapie) im Besonderen  anzustreben ist.

Nebenbei bemerkt hat die einseitige Entwicklung der Psychiatrie, infolge der unverhältnismäßigen „Biologisierung“ in den letzten Jahrzehnten – wie dies sich beispielweise in der Häufung und Gewichtung der biologischen Fortbildungsthemen zeigt – nicht unwesentlich nachteilig dahingehend ausgewirkt, dass dadurch andere, wesentliche Prinzipien der Psychiatrie vernachlässigt und in den Hintergrund geraten sind.

Das heißt, der Psychiatrie ist auf diese Art und Weise der psychische (psychotherapeutische) – und philosophische Geist abhanden gekommen. Als Folge davon hat das Fach Psychiatrie an Faszination eingebüßt und ist sie in gewisser Hinsicht die Psychiatrie geistig erstarrt und langweilig geworden.

Dieser Weg in die „Sackgasse“ wird neuerdings verschiedentlich bewusster wahrgenommen und sind erfreulicherweise nun auch wieder Bestrebungen in andere Richtungen erkennbar.

Nebenbei bemerkt sei an dieser Stelle erwähnt, dass die einseitige Entwicklung der Psychiatrie in die biologische Richtung durch die Forcierung der Methoden der biologischen Psychiatrie  dazu geführt hat, dass die Arbeit, die früher von  Nervenärzten geleistet worden ist, nun vielfach von nichtärztlichen Therapeuten aufgegriffen wird, weil gewisse Therapien von Psychiatern gar nicht mehr gelernt, verstanden und angeboten werden.

Bei einem solchen Splitting der Aufgaben tritt jedoch das Problem auf, dass sodann keine Person den Sachverhalt zur Gänze überblickt, um ihn nach „allen möglichen Prinzipien“ zu beurteilen. Damit bleiben relevante Aspekte unerkannt und im Hinblick auf die mögliche Therapie unberücksichtigt.

Man erkennt also die beschränkte Möglichkeit des Delegierens von therapeutischen Aufgaben – insbesondere im Fach Psychiatrie. Es ist daher angemessen zu fordern, dass Psychiater das ganze Spektrum der biologischen, psychologischen, psychotherapeutischen, soziotherapeutischen Theorien und Möglichkeiten etc. zum Mindesten im Wesentlichen kennen und überblicken um die wesentlichen Zusammenhänge erkennen zu können, und, um sodann in weiterer Folge die bestmöglichen Entscheidungen treffen zu können.

An dieser Stelle darf daran erinnert werden, dass fast alle wesentlichen Psychotherapiemethoden, welche sämtliche „regulative Prinzipien“ im Kant`schen Sinne sind, von Ärzten bzw. Nervenärzten „entdeckt“ bzw. in die Medizin eingeführt worden sind.

Infolge des forcierten Kategorisierens und Biologisierens ist – philosophisch gesprochen – das diskursive und dialektische Denken in der Psychiatrie – bzw.  psychologisch / psychotherapeutisch gesprochen – das psycho-dynamisch- analytische Denken in der Psychiatrie weitgehend verloren gegangen – respektive vernachlässigt worden. Kurz gesagt die Dialektik ist in der Psychiatrie „auf der Strecke“ geblieben dadurch ist der Psychiatrie und den psychiatrischen Patienten ein großer Schaden erwachsen.

Wenn man glaubt, dass man an einem Fall schon alles erkannt hat, weil man die treffendste Kategorie innerhalb einer Klassifikation, etwa der ICD-10, oder der DSM-IV Klassifikation gefunden hat, und sodann nur noch nachschaut, was die psychiatrische Wissenschaft zu dieser Kategorie zu sagen hat, um sodann dieses Wissen gemäß den empfohlenen Leitlinien anzuwenden, so wird das Mögliche bei weitem verfehlt und unterläuft einem dabei der Fehler, den Immanuel Kant den konstitutiven Gebrauch einer Idee nennt. Tatsächlich wird dieser Fehler (vgl. mit Kant Zitat 3a) in der psychiatrischen Praxis, aber auch in der  psychologischen Praxis und in der Psychotherapie allerorten und sehr häufig angetroffen (siehe dazu auch diesen Beitrag).

Dabei ist an dieser Stelle anzumerken, dass das hypothetisch-biologische Denken und Verstehen, der zu Grunde-liegend-gedachten Zusammenhänge – genau so – wie das hypothetisch-psychologische Denken und Verstehen bis zu einem gewissen Grad sehr nützlich ist. Man sollte sich dabei jedoch der Grenzen der Erkenntnisse bewusst sein. Das heißt man soll zwar mit Hilfe der Theorien der „Natur nach allen möglichen Prinzipien der Einheit … bis in ihr Innerstes nachgehen, niemals aber deren Grenzen überfliegen „außerhalb welcher für uns nichts als leerer Raum ist.“ (vgl. mit Kant Zitat 2)

Es sind also, genau genommen, die biologischen Theorien und Modelle ihrerseits nur  „regulative Prinzipien“ (Ideen) im Kant`schen Sinne, also Schemata mit deren Hilfe biologische Zusammenhänge bzw. klinische Erscheinungen durch  zu Grunde-liegend-gedachten Vorgänge modellhaft vorgestellt und verstanden bzw. erklärt werden. Man kann damit die Entwicklung der klinischen Erscheinungen im jeweiligen Krankheitsverlauf, also beispielweise die Wirkungen der Psychopharmaka erklären. Es handelt sich bei diesem Verstehen und Erklären also um ein Verstehen und Erklären von empirisch erfassten Zusammenhängen durch synthetische Urteile, genauso wie auch der Wechsel der psychischen Erscheinungen durch psycho-dynamische Theorien durch synthetische Urteile erklärt wird. In keinem Fall kann man jedoch empirisch, weder in vitro, noch in die zu Grunde liegend gedachten Ursachen damit allgemein gültig erkennen und allgemein gültig beweisen.

Erkenntnistheoretisch bzw. philosophisch betrachtet, handelt es sich also bei den biologischen Theorien (Modellen), wie sie in der Psychiatrie zur Erklärung der Zusammenhänge vorgestellt und gedacht werden, um empirisch nicht am Probierstein der Erfahrung (vgl. mit Kant Zitat 10) prüfbare Ideen, sondern ergeben sich nur indirekte Hinweise dafür, dass es wohl so sein könnte, wie die Vorgänge modellhaft gedacht und vorgestellt werden.

Es handelt sich also nicht nur bei den psychologischen (psychiatrischen und psychotherapeutischen) Ideen, sondern auch bei den „biologischen Ideen“ in der Psychiatrie um aus der Erfahrung abgeleitete Ideen und damit um bloße Ideen, im Kant`schen Sinne – insofern deren Richtigkeit weder in vitro, noch konkret am klinischen Fall empirisch in vivo -vergleichbar der Objekivierung eines Herzinfarktes – allgemein gültig nachgewiesen und aufgezeigt werden kann. (vgl. mit dem Beitrag medizinische Diagnose)

Spitz formuliert kann man also in Bezug auf die biologischen Theorien in der Psychiatrie von einer Art graphisch-bildlich, unterstütztem „biologischem Glauben“ sprechen, welcher heutzutage im Rahmen der wissenschaftlichen Präsentation nicht selten als ein faktisches Wissen präsentiert wird.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass die biologischen Theorien in der Psychiatrie bis zu einem gewissen Grad durchaus für die klinische Praxis nützlich und wertvoll sind – so wie auch die psychologischen, die psychiatrisch-klassifikatorischen, die psychotherapeutischen und die sonstigen Theorien und Ideen, bis zu einem gewissen Grad für die klinische Praxis nützlich und wertvoll sind. Wenn man diese Ideen jedoch missversteht, das heißt wenn man sie – philosophisch gesprochen – als konstitutive Erkenntnisse ansieht, dann kann man vielleicht da und dort bei unkritischem Publikum „durch einen zwar glänzenden aber trüglichen Schein“ imponieren, stürtzt sich aber gleichzeitig infolge dieser „Überredung und eingebildetem Wissen“ in „ewige Widersprüche und Streitigkeiten„. (vgl. mit Kant Zitat 3)

Man sollte sich also des Stellenwerts der jeweiligen Erkenntnis, des Stellenwerts des jeweiligen „Prinzips der Einheit“ bzw. des Stellenwerts des jeweiligen Aspekts des Sachverhalts bewusst sein, und kann dann auf diesem Wege durch angemessene Berücksichtigung der so gewonnenen Einsichten die bestmögliche Behandlung und damit den bestmöglichen Zweck erreichen. (vgl. mit Kant Zitat 2)

Kurz:

Man soll also seine Erkenntnis angemessen relativieren und sodann das Bestmögliche tun.

(letztes update 26.2.2012)

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