Die Basis der Psychiatrie als Wissenschaft

Die Psychiatrie ist eine Wissenschaft der Heilkunde.

So wie die Medizin als Wissenschaft die gesundheitlichen Störungen (Krankheiten) des Körpers untersucht, so untersucht die Psychiatrie die gesundheitlichen Störungen der Psyche, nämlich die psychischen Störungen.

Was die psychiatrische Wissenschaft jedoch von den medizinischen Wissenschaften unterscheidet, ist, dass ihre diagnostischen diagnostischen Einheiten nicht physisch fundiert,sind – also nicht in der Natur gefunden, entdeckt und diagnostiziert werden können, sondern, dass diese meta-physisch fundiert – somit geisteswissenschaftlich fundiert sind (metaphysisch: altgr. „jenseits der Physis“, physis=Natur, natürliche Beschaffenheit).

Die psychiatrische Wissenschaft befasst sich zwar sehr wohl – genauso wie die medizinische Wissenschaft mit gesundheitlichen Störungen – also mit Störungen des menschlichen Wohlbefindens im Sinn von Gesundheit und Krankheit. Sie kann jedoch ihren Bereich nur erforschen und bearbeiten, wenn sie ihre Erkenntnisse auf der Grundlage von Erkenntisobjekten gewinnt, die jenseits der „physis“ gelegen sind. Wie man sich überzeugt sind die diagnostischen Einheiten der Psychiatrie auf der Ebene der Ideen gelegen, und es sind diese diagnostischen Einheiten, von den in der Psychiatrie tätigen Fachleuten, auf dieser Ebene auf der Grundlage der klinischen Beobachtung, also der klinischen Erfahrung und vernünftigen Überlegung in Bezug auf ihre Grenzen definiert worden (vgl. mit Kant Zitat 7).

Mit anderen Worten: die Erkenntnisobjekte der Psychiatrie sind nicht „physischer“ „Natur“ in dem Sinn, dass man diese Natureinheiten auf der Ebene der Objekte im Sinn von natürlichen Krankheitseinheiten finden (und somit „entdecken“) und daher allgemein gültig bestimmen kann, sondern es sind diese psychiatrischen Einheiten  „mentaler“, oder man kann auch sagen „geistiger“ „Natur“ und damit sind sie „meta-physischer“ „Natur“ (Beschaffenheit).

Oder könnte jemand behaupten, dass die psychiatrischen Kategorien z.B. diejenigen der Psychiatrischen ICD-10 Klassifikation, oder diejenigen der DSM-V Klassifikation „physisch“ fundiert sind?

In diese Situation ist die Psychiatrie ohne ihr eigenes Verschulden geraten (vgl. mit Kant Zitat 10):

Immanuel Kant schreibt in der Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft folgendes:

Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.

In diese Verlegenheit gerät sie ohne ihre Schuld. Sie fängt von Grundsätzen an, deren Gebrauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich und zugleich durch diese hinreichend bewährt ist. Mit diesen steigt sie (wie es auch ihre Natur mit sich bringt) immer höher, zu entfernteren Bedingungen. Da sie aber gewahr wird, daß auf diese Art ihr Geschäfte jederzeit unvollendet bleiben müsse, weil die Fragen niemals aufhören, so sieht sie sich genötigt, zu Grundsätzen ihre Zuflucht zu nehmen, die allen möglichen Erfahrungsgebrauch überschreiten und gleichwohl so unverdächtig erscheinen, daß auch die gemeine Menschenvernunft damit im Einverständnisse stehe. Dadurch aber stürzt sie sich in Dunkelheit und Widersprüche, aus welchen sie zwar annehmen kann, daß irgendwo verborgene Irrtümer zum Grunde liegen müssen, die sie aber nicht entdecken kann, weil die Grundsätze, deren sie sich bedient, da sie über die Grenze aller Erfahrung hinausgehen, keinen Probierstein der Erfahrung mehr anerkennen.“ (Ende des Zitats, das ganze Kant Zitat 10 finden sie hier)

Gemäß dem Auszug aus dem Kant Zitat 10 geriet die Psychiatrie also „ohne ihre Schuld„, in dem sie „von Grundsätzen anfing, deren Gebrauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich und zugleich durch diese hinreichend bewährt ist“  „zu entfernteren Bedingungen“ zur Festlegung der dogmatisch begrenzten psychiatrischen Kategorien in einer psychiatrischen Klassifikation.

Die Psychiatrie als Wissenschaft begann mit systematischen Beobachten und Überlegen, wie dieses erstmals im 18. Jahrhundert der französische Arzt Philippe Pinel bei psychisch auffälligen Person angestellt hat, in dem er „das moderne analytische Denken“ auf diese Personen „anwandte„. (weiteres zu diesem Zitat finden Sie hier).

Ähnliche Entwicklungen wie in Frankreich fanden damals bald auch in Deutschland statt und es folgten solche Entwicklungen auch an anderen Ländern.

Bereits der deutsche Internist und Nervenarzt Wilhelm Griesinger war davon überzeugt, dass in Zukunft die psychischen Krankheiten in Folge der ihnen zu Grunde liegenden anatomischen Veränderungen des Gehirns diagnostizierbar sein werden:

W. Griesinger schreibt:

Da eine Einteilung der psychischen Krankheitennach denen ihnen zu Grunde liegenden Veränderungen des Gehirns dzt. nicht möglich ist„, gelangte er zu einem „psychologischen“ „nach der Art und Weise der psychischen Anomalie„. (vgl. mit Griesinger Zitat)

Auf dieser Grundlage schuf Wilhelm Griesinger auf der Grundlage seiner klinischen Erfahrung und vernünftigen Überlegung die erste psychiatrische Nosologie auf der Grundlage der Phänomenologie bzw. auf der Grundlage der Psychopathologie.

In weiterer Folge ist die von Griesinger begründete Nosologie weiter entwickelt worden. Es wurden weitere psychopathologische Phänomene und weitere diagnostische Einheiten beschrieben und ist auch der Verlauf der psychischen Störungen bei den später definierten Einheiten berücksichtigt worden.

Wie man sich überzeugt ist es bis zum heutigen Tag so geblieben, dass die gesamte psychiatrische Wissenschaft auf einer phänomenologisch begründeten Nosologie basiert.

In der Psychiatrie ist im Zusammenhang mit der Behandlung durch Psychopharmaka zwar viel von Transmittern, Rezeptoren und bildgebenden Befunden die Rede und sind die verschiedene psychiatrische Theorien entstanden, die erklären wie psychische Störungen entstehen, jedoch die psychiatrische Diagnostik und psychiatrische Klassifikation – die Bestimmung der psychischen Krankheiten und psychischen Störungen – ist bis zum heutigen Tag weiterhin phänomenologisch begründet.

Solange die Psychiatrie eine Wissenschaft der Erscheinungen (Phänomene) der Psyche ist, wird sie auch auf dieser Basis  beruhen und definiert werden müssen (vgl. mit Kant Zitat 10).

Damit gelten unabdingbar auch die Gesetzmäßigkeiten, wie sie sich aus dem geisteswissenschaftlich zu untersuchenden Fundament der Erkenntnisse ergeben.

Eine Übersichtsdarstellung zur Thematik des psychiatrischen Diagnostizierens finden Sie auf dem Poster: Die Anwendung der “Kritik der reinen Vernunft” von Immanuel Kant auf das psychiatrische Diagnostizieren.

Eine Darstellung zur psychiatrischen Klassifikation auf Poster 5: CLASSIFICATION IN PSYCHIATRY – APPROPRIATE USE OF THE DSM-IV AND ICD-10 CATEGORIES – TO AVOID CONFLICTS AND CONTRADICTIONS IN PRACTICE AND SCIENCE – AN INVESTIGATION IN THE LIGHT OF IMMANUEL KANT`S PHILOSOPHY

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(letzte Änderung 10.4.2016, abgelegt unter psychiatrische Wissenschaft, Psychiatrie, medizinische Diagnostik, Wissenschaft)

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